Montag, 17. Juni 2013

Proteste in Griechenland

+++ weitergeleitet +++



Datum: Thu, 13 Jun 2013 17:39:07 +0200

Hallo,

ein paar Eindrücke für Euch aus der besetzten öffentlich-rechtlichen Rundfunkzentrale des ERT in Athen.

Heute hat hier im Nordosten Athens, vor der Zentrale des
öffentlich-rechtlichen Rundfunks ERT, parallel zum ausgerufenen
Generalstreik, eine Großkundgebung stattgefunden. Für 12 Uhr war dazu aufgerufen, schon vor 12 Uhr waren die breiten Straßen und Plätze um die ERT-Zentrale voll. Ihr findet im Anhang ein schönes Foto, von der Seite www.left.gr (auch so ein Syriza-Projekt). Die Kundgebung, die sich jetzt zerlaufen hat, war ein großer Erfolg, sagen die Leute hier. Man hört oft, dass nach den in letzter Zeit eher vereinzelten Kämpfen (Metroarbeiter, Lehrer), denen ja sehr repressiv begegnet wurde, hier wieder etwas Großes hochgekocht ist. Die Bewegung auf der Straße ist
wieder da. Mal sehen, wie lange sie durchhält.

Der Generalstreik aber war so lala erfolgreich, ist mein Eindruck: es haben wohl die Leute vom öffentlichen Nahverkehr gestreikt, ein großer Teil der privaten Medien und Journalisten, wohl auch z.T. Beschäftigte an den Flughäfen - aber in der Athener Innenstadt soll man es kaum bemerkt haben (wir sind ja hier einige Kilometer vom Zentrum entfernt).
Dafür aber sind wohl selbst relativ kleine Radiostationen von ERT, die im Land verstreut sind, seit Dienstag besetzt. Ein Journalist hier berichtete davon, dass in der Stadt Yanena, in Nordgriechenland, z.B. 300-500 Leute eine Station besetzt hätten, in der gerade mal 4
Radiobeschäftigte arbeiten.

Die Situation derzeit hier in Athen: die Besetzung läuft weiterhin sehr gut. Tagsüber, v.a. ab dem späten Nachmittag strömen die Leute hier verstärkt auf das Gelände; dann sind es sicher mal so 2.000-3.000. Nachts immer noch einige Hunderte. Im Rundfunkgebäude steht die ganze Infrastruktur und ständig wuseln Hunderte von Leuten durcheinander. Vor dem Gebäude, das weitflächig umzäunt ist, sind etliche Sendewagen
aufgebaut und es gibt natürlich das ganze hervorragende technische Equipment, um Tag und Nacht hier mit Programm den gesamten Platz und die Nachbarschaft zu beschallen. Draußen wird 24 h lang Programm organisiert: viel Livemusik, Sänger - mit viel Protestliedgut aus der Zeit gegen die Militärdiktatur, was die Leute begeistert mitsingen. Das bringt viel Spirit.

Die Mannschaft von ERT sendet nach wie vor 24 h live und streamt das Ganze über diverse Internetportale, u.a. das der kommunistischen Partei und der Europäischen Rundfunkunion EBU www.ebu.ch, ins Netz. Politiker aller linken Oppositionsparteien, Aktivisten aus Basisgruppen, Gewerkschafter etc. geben sich 24 h lang die Klinke in die Hand, um im provisorischen Studio aufzutauchen. Das Programm (z.b. auch mal ein
Konzert des ERT-Orchesters, das im Gebäude zusammenfindet) wird hier u.a. auf große Leinwände nach draußen übertragen.

Allerdings hat Ministerpräsident Antonis Samaras heute den Portalen, die ERT streamen, mit Sanktionen gedroht. Die message ist klar: die Sendungen soll gekappt werden. Gestern hatte Samaras am späten Nachmittag einen Auftritt vor Industriellen. Er hat nochmal die Entscheidung, den öffentlich-rechtl. Rundfunk zu schließen, bekräftigt und v.a. die Gewerkschaften scharf attackiert, weil sie immer streikten, wenn ausländische Politiker zu Besuch kämen bzw. weil sie nie über die hoffnungsvollen Entwicklungen in Griechenland berichteten (mh, welche er
damit wohl meinte?). Besonders "schön": kurz darauf war die
Liveübertragung des Spiels der Basketballer von Olympiakos and
Panathinaikos auf dem privaten Sender Skai-TV zu sehen - der hat direkt von der Schließung des ERT profitiert und die Übertragungsrechte abgestaubt. Der Präsident von Panathinaikos, so weit ich mich recht erinnere, hat es schön auf den Punkt gebracht, in dem er meinte, Skai habe, ohne etwas dafür tun zu müssen, ein großes Geschenk von der Regierung bekommen.

Zum Charakter der Bewegung: hier ist Jung & Alt auf den Beinen,
Gewerkschaften, die Bewegung von den Plätzen, Anarchisten, die linken Oppositionsparteien (Syriza ist hier unglaublich stark mit Partei- und Abgeordnetenapparat vertreten und vorbildlich für Tag- und Nachtschichten eingeteilt :-)) und man hört immer wieder, wie erstaunlich es sei, dass hier auch die kommunistische KKE bzw. ihre Gewerkschaft PAME dicht an dicht mit Syriza und den Anarchisten auf dem besetzten ERT-Gelände stehen. Die Basisstrukturen der Bewegung von den Platzbesetzungen haben hier übrigens den Rundfunkbeschäftigten ordentlich techn. Schützenhilfe gegeben, um das Livestreaming hinzubekommen bzw. zu zeigen, wohin man streamen kann. Hier geht also
einiges zusammen.

Was sich im Parlament tut: Samaras und die Nea Demokratia hatten ihre Koalitionspartner Pasok und Dimar ja nicht über die handstreichartige Schließung von ERT unterrichtet. Die Vorsitzenden von Pasok und Dimar haben sich gestern zum Krisengespräch getroffen und die Schließung kritisiert. Noch ist nicht klar, ob sie darüber die Koalition platzen lassen werden. Allerdings hört man, dass sich die Dimar über diese Frage
intern gerade zerlegt. Wenn nur die Dimar aussteigt, könnte Samaras mit einem winzigen Stimmenvorsprung theoretisch weiter regieren. Allerdings wäre dann auch die Frage, ob nicht auch die Pasok aussteigt.

Montagabend jetzt soll nun dass von der Pasok und Dimar eingeforderte Gespräch mit Samaras stattfinden. Sie haben den Termin zeitlich just auf die große Kundgebung und Rede gelegt, die am Montag Tsipras für Syriza auf dem Syntagmaplatz halten wird (die war schon länger geplant). Auch erst am Montag wird im Parlament nochmal über ERT debattiert. Sie strecken das ganze also zumindest bis über das Wochenende - vielleicht auch, um zu sehen, ob die Bewegung hier so lange durchhält. Ob und wie
die Polizei eingreifen wird, ist derzeit unklar. Sie sind wohl schon ein paar Mal aufgezogen (man sieht sie von hier aus ehrlich gesagt nicht), aber bisher ist hier nichts passiert. Wenn sie hier räumen, wird das allerdings gar nicht schön, das ERT-Gebäude ist riesig, überall Leute, da gibt es große Befürchtungen ob der geschlossenen räumlichen Gegebenheiten und der Brutalität der Polizei.

Warum Samaras hier so agiert, ist Feld vielfacher Spekulationen: Fühlt er sich so stark, um Neuwahlen zu riskieren, denn in allen Umfragen bis zu ERT führte er mit der ND (jetzt allerdings soll Syriza die ND als
stärkste Kraft angeblich überholt haben, das konnte ich aber nicht
verifizieren)? Will er ein Zeichen in Richtung EU senden, dass die ihm wiederum entgegen kommen sollen, weil er selbst mit dem Rücke zur Wand steht, nachdem die Gasprivatisierung kurzfristig gescheitert ist? Eines ist jedenfalls sicher: die Rede von Neuwahlen macht hier auch schon bis in die konservative Presse die Runde und Samaras setzt rhetorisch weiterhin auf Konfrontation. Es gibt ja auch die Spekulation, und zwar
nicht nur von Verschwörungstheoretikern, er könne perspektisch
einplanen, auch mit einem Teil der neofaschistischen Chrysi Avgi zu koalieren.

Zu Neuwahlen sagt Syriza hier: wir sind vorbereitet (tatsächlich ackern sie ja hier wie verrückt an ihren Kurz- und Langfristprogrammen) - aber wenn ich hier eines lernen durfte, dann ist es, dass Vorhersagen in Griechenland was Wahlausgänge angeht, gar nicht mehr möglich sind. Und was passieren würde, wenn Syriza hier mit einer Koalition an die Macht
käme wäre Stoff für eine viel längere Mail. Was man aber miterlebt:
diese Gesellschaft hier erlebt eine immer weiter fortschreitende
Polarisierung.

So, mit diesen Eindrücken aus Athen einen Gruß in die Runde. Wenn Ihr Euch noch mehr informieren wollt und leider auch kein Griechisch könnt, geht das u.a. hier:

http://www.enetenglish.gr/ (guter Liveticker zur ERT-Besetzung, aber erst ab morgen wieder, es wird ja gestreikt)

http://www.ekathimerini.com/ (das FAZ-Pendant Griechenlands, hat eine englische Onlineausgabe)

Livestream v. ERT u.a. auf www.ebu.ch - ist zwar auf Griechisch, aber immer mit Livestreamkamerabildern vom Platz vor dem Gebäude und auch sonst interessant

(od. regelmässig meine Texte auf taz.de :-) wobei unsere Autorensuchfunktion nicht geht & ihr mit dem wort "athen" suchen müsst

Eva



Zu den Verbindungen zwischen Athen und Istanbul: bereits zum Alter Summit hier sind die Geschehnisse in Istanbul natürlich aufmerksam verfolgt worden und es kam die Frage auf, ob der Funke von Istanbul wieder hierher rüberspringt. "Dank" Samaras ist es ja dann auch passiert - was das Durchregieren angeht, scheint aber auch bei Samaras der Erdogan-Funke übergesprungen ...

Danketsu Blog

Internationale Kurznachrichten zu Arbeits- und Arbeiterkämpfen. Inspiriert von der japanischen Eisenbahnergewerkschaft Doro-Chiba

Danketsu

Das japanische Wort "Danketsu" bedeutet wörterbuchmässig übersetzt "Solidarität". Wie aber so oft hat das japanische Wort in der japanischen Sprache selbst eine noch viel komplexere Bedeutung, etwa im Sinne des Wahlspruchs der 3 Musketiere aus Alexander Dumas Roman: "Einer für alle! Alle für einen!"

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Klassenorientierte Arbeiterbewegung

Die Schaffung und Verbreiterung einer internationalen klassenorientierten Arbeiterbewegung ist ein Ziel der kämpferischen Eisenbahnergewerkschaft Doro-Chiba in Japan. Dies bedeutet unter anderem: (1) Arbeits- und Arbeiterkämpfe dürfen niemals sektoriell, kulturell, ethnisch oder national isoliert und eingegrenzt bleiben. Über alle diese (letztlich künstlichen) Grenzen hinweg muss Solidarität (Danketsu) praktiziert werden. (2) die Gesamt - Interessen aller Menschen, die nur Besitzer blosser Arbeitskraft als Produktionsfaktor sind (60-80% der Bevölkerung etwa in Ländern wie Deutschland oder Japan), also wissenschaftlich formuliert der Klasse des Proletariats, müssen stets im Vordergrund sein. (3) Es ist von einer Unversöhnlichkeit der Interessen von Kapital und Arbeit auszugehen. (4) Es gilt die unmittelbare und direkte Solidarität (Danketsu) zwischen den zahllosen Segmenten dieser Klasse weltweit ständig zu erzeugen und zu verbreitern.

Berliner Solidaritätskomitee mit den Werktätigen in Japan

Am 11.10.2011 riefen 4 Gründungsmitglieder das Berliner Solidaritätskomitee mit den Werktätigen in Japan ins Leben. Ziel des Komitees ist die Schaffung zahlreicher Kontakte zwischen deutschen und japanischen gewerkschaftlichen Aktivisten (wobei gewerkschaftliche Aktivisten keineswegs etwa auf formale Mitglieder von Teilorganisationen etwa des DGB begrenzt ist). Dieser Blog hier (Danketsu-Blog) ist allerdings nicht nur einseitig auf deutsch-japanische Arbeitersolidarität ausgerichtet, sondern nahm von Anfang an auch Kurzmeldungen über Arbeitskämpfe aus anderen Teilen der Welt auf. Damit realisieren wir auch auf beste Weise, was ein zentrales Anliegen der japanischen Doro-Chiba ist: Schaffung einer weltweit miteinander vielfältig vernetzten klassenorientierten Arbeiterbewegung; Danketsu erzeugen und immer weiter verbreitern.

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